Bildserie oberhalb: Verwundetentransport im ersten Weltkrieg
Nach Beendigung des zweiten Weltkrieges und Übergang zum sog. Kalten Krieg, also der Zeit in der sich NATO und Warschauer Pakt Staaten gegenüber standen, wurde das Thema Verwundetentransport ebenfalls bei militärischen Überlegungen mit einbezogen.
Anders als bei den zuvor genannten Kriegen, wo dabei teils tausende Kilometer zurück gelegt werden mussten, ging man bei der sog. Bündnis und Landesverteidigung jedoch davon aus, das Verwundete mit relativ kurzen Wegen auf dem Gebiet des damaligen Westdeutschlands verteilt werden mussten. Hierfür wurde eine flächendeckende Reservelazarettorganisation geschaffen. Mit sog. “Lazaretten 200” und größer , also Lazaretten die 200 oder/ und mehr Verwundete incl. OP Kapazität versorgen sollten, wurden in Kasernen oder angelehnt an zivile Krankenhäuser, medizinische Strukturen geschaffen, die mit als Reservisten einberufenen Spezialisten besetzt, die zu erwartende Anzahl Verwundeter hätte versorgen können. Dies war zumindest der Plan der damals Verantwortlichen. Eine Erfolgskontrolle unter scharfen Bedingungen erfolgte ja glücklicher Weise nicht.
Die Transportorganisation hätten im Schwerpunkt die damals bestehenden Krankentransporteinheiten der Sanitätsbataillone übernommen. Diese verfügten über Kraftomnibusse (kurz KOM), Krankenkraftwagen, Typ UNIMOG, (kurz KrKw) oder zumindest in den ersten Jahren der Wiederaufrüstung und Aufstellung der Bundeswehr auch noch über Lazarettzüge. Rechnete man doch durchaus auch hier mit zehntausenden Verwundeter bei Gefechten zwischen mechanisierten Kräften beider Seiten schon in den ersten Kriegstagen. Große Flotten von leichten und mittleren Transporthubschraubern, Typ Bell UH 1 D und CH 53 ermöglichten zumindest planerisch das Überspringen von Wagenhalteplätzen direkt hin zu den großen Hauptverbandplätzen der Divisionen.
Bilder oberhalb: CH 53 ,Bell UH 1 D sowie VW Iltis während einer Übung Transport Verwundeter
Nach Beendigung des Kalten Krieges und Zerfall des Warschauer Paktes wurde eine Zeit der relativen Abrüstung eingeleitet. Strukturen wie z.B. der zuvor genannten Reservelazarette wurden aus Kostengründen abgeschafft. Mehrere Bundeswehrreformen sorgten angepasst an die damalige sicherheitspolitische Einschätzung dafür, das die Sanitätstruppe erheblich reduziert, in Folge der sog. Out of Area Einsätze in einem neuen Organisationsbereich, dem zentralen Sanitätsdienst dann aber wieder in veränderter Form aufwuchs.
Diese “Out of Area Einsätze”, beginnend in Ex Jugoslawien mit den Einsätzen IFOR (Implementation Force 1995 bis 1996), SFOR (Stabilisation Force 1996 – 2004) und später KFOR (Kosovo Force 1999 bis 2020), stellte die Sanitätstruppe vor die Aufgabe der Patientenversorgung in dieser neuen, veränderten Form. Vorgaben erfolgten auf Grundlage u.a. von NATO oder UN Papieren. Die Maxime ,1993 festgelegt vom damaligen Inspekteurs Sanitätsdienst,(Generaloberstabsarzt Dr. Gunter Desch) wurde als stetig zitiertes Wort und als moralische Messlatte genommen, um die Befähigung zur Erfüllung dieses Auftrages zu erlangen. Pragmatische Ansätze wie im ersten oder zweiten Weltkrieg auf Grund der quantitativen Notlage heraus praktiziert, konnten so nicht mehr angewendet werden. Waren auch politisch nicht mehr haltbar. Ein im Einsatz verletzter, erkrankter oder dann auch verwundeter Soldat musste mit allen Mitteln bestmöglich versorget werden. Individualmedizinische Maximalversorgung schon am Ort des Geschehens, über den Transport in die erste weiterbehandelnde medizinische Einrichtung bis hin zum Transport in die Heimat waren nun Themen die mit Leben gefüllt werden mussten. Diese Form der Versorgung war personalintensiv und führte letztendlich u.a. zur Neuaufstellung des Organisationsbereiches des zentralen Sanitätsdienstes. (01.10.2000) Musste basierend auf dieser Maxime selbst in Klein oder Kleinstkontingenten, teilweise von 50 oder weniger Einsatzkräften, stets eine leistungsstarke Sanitätskomponente ausgeplant werden.
Vieles schien in diesen Tagen im Gange zu sein. Vieles wurde ausprobiert, später durch bessere, leistungsfähigere oder auch angepasstere Varianten ersetzt. Schnell verlegbar, mobil, lufttransportfähig und modular waren Schlagworte dieser Zeit. Dazu natürlich leistungsfähig bis hin zur ersten operativen Versorgung möglicher Verwundeter noch im Einsatzgebiet.
Basierend auf den Grundlagen von NATO Vorschriften wurden diese medizinischen Einrichtungen dann ROLE 1 bis ROLE 4 bezeichnet. Wie auf der folgenden Grafik dargestellt, kristallisierte sich der individuelle Ansatz aus erdgebundenem Transport in der ersten Phase bis hin zum luftgestützten, strategischem Transport u.a. mittels extra dafür konzipierten und beschafften Verkehrsflugzeug, dem Airbus A 310, der fliegenden Intensivstation, als optimale Möglichkeit heraus.
Bilder oberhalb: Airbus A 310 , die fliegende Intensivstation
Auf dieser Grafik ist das Prinzip für den Weg des Verwundeten ab der Ebene Rettungsstation (RS) , welche sich am rechten Rand (Feld A1/A2) des Einsatzraumes befindet, bis hin zu den sanitätsdienstlichen Einrichtungen in der Tiefe des Einsatzgebietes (Feld B) . Gut erkennbar der mögliche Einsatz von Hubschraubern zur Verkürzung der Transportzeiten und dem Überspringen einzelner Behandlungsebenen.
Die abschließende Versorgung im Heimatland ist auf der unteren Grafik erkennbar. ( Feld C)
Definition:
NATO Medical Support Handbuch, Chapter 16.
ROLE 1
Kleine medizinische Einheit zur Befähigung erster medizinischer aber auch ärztlicher Behandlung, Triage und erweiterter lebensrettender Maßnahmen. Beweglicher Arzttrupp (BAT) , (Luftlande -)Rettungsstation
Anmerkung Redaktion: Ungefähr Truppenverbandplatz Bataillonsebene
ROLE 2
Mittlere medizinische Einheit mit Befähigung erster operativer, eingeschränkter intensivmedizinischer und pflegerischer Maßnahmen.
(Luftlande-) Rettungszentrum, Marinereinsatzettungszentrum
Anmerkung Redaktion: Ungefähr Verbandplatz Brigade
ROLE 3
Größere medizinische Einheit mit Befähigung weiterführender operativer, intensivmedizinischer und pflegerischer Maßnahmen, sowie Diagnostik wie zB CT.
Feldlazarett, Einsatzlazarett, Marine Einsatzlazarett Einsatzgruppenversorger
Anmerkung Redaktion: Ungefähr Hauptverbandplatz der Division
ROLE 4
Große medizinische Einheit mit Befähigung zur operativen, intensivmedizinischer und pflegerischer Maßnahmen und anschließender Reha.
(Bundeswehr-) Krankenhaus
Bei der tatsächlichen Zusammensetzung für das jeweilige Einsatzgebiet gibt es durchaus einen gewissen Spielraum bei der Besetzung der fachspezifischen Posten. So kann ein Einsatzlazarett in maximaler Besetzung und Ausstattung sich qualitativ mit einer bundesdeutschen Universitätsklinik oder einem Zentrum der Maximalversorgung vergleichen. Die äußerlich erkennbare Unterbringung in Zeltmodulen und Containern darf da nicht über die Qualität der medizinischen Kapazitäten hinwegtäuschen.
Folgend die grafische Darstellung eines Einsatzlazarettes, die zeigen soll wie umfangreich diese Art von Sanitätseinrichtungen sein kann.
Alles was sich vor der ROLE 1 abspielt ist sanitätsdienstliche Erstversorgung, bzw. Selbst und Kameradenhilfe. Mit Übernahme des Verwundeten durch einen BAT oder LBAT werden nach NATO Richtlinien die Forderungen einer ROLE 1 erfüllt. Viele NATO Mitgliedsstaaten halten keine Ärzte auf beweglichen, bodengebundenen Rettungsmitteln vor. Sehr häufig übernehmen ausgebildete Medics, nichtärztliches Personal der verschiedenen Qualifikationsebenen die Aufgaben der Erstversorgung am Ort des Geschehens. (Taktik +Medizin wird sich mit dieser Phase und den unterschiedlichen Qualifikationsstufen in einer späteren Ausgabe beschäftigen)
Maxime der sanitätsdienstlichen Versorgung im Einsatz
Die Versorgung verletzter und verwundeter Soldaten im Einsatz hat im Ergebnis der medizinischen Versorgung im Heimatland zu entsprechen.
GenArzt Dr. Desch
Dieses Konzept wurde auch mit Beginn des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan unter dem Mandat ISAF (International Security Assistance Force 2001 bis 2013) und später RS (Resolute Support 2013 bis heute) oder in Mali unter MINUSMA (Stabilisierungsmission Mali 2015 bis heute) praktiziert. Verwundete nach der zuvor genannten Maxime bestmöglich zu versorgen war und ist das Ziel dieser Art von Einsätzen.
Fairerweise muss in diesem Zusammenhang aber auch erwähnt werden, dass zu keinem Zeitpunkt dieser Einsätze, egal ob auf dem Balkan, im vorderen Orient oder Westafrika davon ausgegangen wurde, dass es zu einer so großen Anzahl von Verwundeter in kurzen Zeiträumen kommen könnte, als wenn gepanzerte Großverbände kämpfend aufeinander treffen würden. Die daraus resultierende, mögliche Notwendigkeit eines quantitativen Verwundetentransport wurde folgerichtig zurückgestellt.
BAT
Beweglicher Arzttrupp bestehend aus:
1 Kraftfahrer (meist Einsatzsanitäter /Rettungssanitäter)
1 Kommandant (meist Rettungsassistent / Notfallsanitäter)
1 Arzt (Fachkunde Rettungsmedizin)
Rettungsmittel aber auch medizinische Einrichtungen waren schlicht auf Maximalmedizin ausgerichtet. Der Transport von 1 bis 2 Verwundeten war quasi die maximale Obergrenze beim Einsatz solcher hochwertigen Rettungsmittel pro Fahrzeug.
Hatte nicht auch der Zivil und Bevölkerungsschutz vor dem 11.9.2001 eine ähnliche Entwicklung erlebt.
Bilder oberhalb: Zwei Beispiele aus der umfangreichen Serie Transportfahrzeuge Sanität Einsatz, BV 206 und TPZ Fuchs.
Mit Neuauflage sicherheitspolitischer Anspannungen zwischen West und Ost und der daraus resultierenden Neubetrachtung der eigenen aber auch der bündnisbefähigten Leistungsfähigkeit, speziell bei der Versorgung möglicher Verwundeter wurde sehr schnell klar, dass Nachholbedarf besteht. Altes Wissen ist zeitgleich mit Reduzierung von Gerät und Infrastruktur verloren gegangen. Die Befähigung, große Massen Verwundeter eher aus logistischem Blickwinkel als intensivmedizinisch zu betrachten, ist in einer Phase von ca. 20 Jahren der Maximalversorgungsidiologie gewichen. Die Gründe dafür wurde bereits erklärt.
Was tun um die Wiederherstellung dieser Leistungsfähigkeit zu erreichen ist nun die groß Frage. Zumal die politischen Mandate in Afghanistan, Mali oder in anderen Einsätzen weiter aufrecht erhalten werden müssen. Den Spagat zwischen beiden Einsatzformen gilt es nun zu schaffen. Teile der Bundeswehr, des Sanitätsdienstes für die Einsätze der zuvor genannten Mandate bereitzuhalten, andere Teile auf Aufgaben vorzubereiten, die scheinbar der Vergangenheit angehörten. Dies unter Betrachtung des latenten Personalmangels und weiterhin eingeschränkter Haushaltsmittel. So verwundert es nicht, dass Projekte auf der rüstungspolitischen Agenda mit dem Titel 2025 oder 2030 tituliert werden. Die Langzeitachse zur Entwicklung, Beschaffung und Einführung von sanitätsspezifischem Gerät in die Bundeswehr ist enorm.
Was bleibt ist der Auftrag, Erkrankte, Verletzte oder Verwundete Soldaten bestmöglich zu versorgen. Dabei sollte die Art des Einsatzes, also sog. Out of Area in Klein oder Kleinstkontingenten, oder im Rahmen der Bündnisverteidigung , z.B. im Baltikum oder Osteuropa keine Rolle spielen. Eine große Herausforderung an alle Verantwortlichen.
Was vermutlich bleiben wird sind Erkenntnisse und Fähigkeiten, auf kleinster Ebene in diesen Out of Area Einsätzen gewonnen. Die tatsächliche Versorgung Verwundeter nach Kampfhandlungen. Diese bisher in den letzten 25 Jahren erlernten Fähigkeiten gilt es zu sichern.
Materialien und Wissen zur Anwendung aus der Taktischen Medizin werden in beiden Szenarien ihren Platz finden. Hierbei ist es primär nachrangig wie die Versorgung weitergehen wird. Eine sog. Care under Fire Phase mit der möglichen Notwendigkeit zur Anlage eines Tourniquets ist bei allen Einsatzvarianten ähnlich. Die anschließende Umwandlung in hämostyptische Wund/-Druckverbände in der Phase Tactical Field Care oder Prolonged Field Care werden jetzt schon praktiziert. Somit ist das behandelnde Fachpersonal in den letzten Jahren deutlich professioneller und routinierter geworden im Umgang mit Kriegsverletzungen. Gilt es nun die Fähigkeitslücken bei großer Anzahl Verwundeter in Hinblick auf Transport und medizinische Versorgung zu schließen.